Die Food-Life-Balance
Ein Gespräch mit Sterne-Koch Holger Stromberg über aggressive Fleischesser, Ravioli-Dosen und die eigene Sehnsucht nach der Auszeit im Reisemobil
Interview Patrick Morda | Fotos Dominik Gigler
Eigentlich wollen wir zusammen etwas Gutes kochen und darüber reden. Passenderweise im Wohnmobil, denn das, so versichert Sterne-Koch Holger Stromberg, und leckere, gesunde Küche, schließen sich keineswegs aus. Mit geeigneten Zutaten – unter anderem Blumenkohl, Karotten, Zitronen und, interessanterweise, lediglich einer Vierkantreibe – fahren wir Richtung Starnberger See, zum beschaulichen Campingplatz Hirth. Die Natur, so sagt er, zieht ihn mittlerweile magisch an. Also stellen wir uns auf diesen etwas versteckten, urigen Campingplatz am Ostufer bei Ambach – Alpenblick inklusive. Knapp 20 Minuten soll die Zubereitung dauern, 20 weitere das Marinieren. Einmal in der vergleichsweise geräumigen Küche im teilintegrierten Eura Mobil eingerichtet, fängt der ehemalige Koch der Fußball-Nationalmannschaft an zu raspeln. Und wir fangen an zu reden …
Herr Stromberg, man könnte meinen, Sie würden zunächst eine Batterie hochwertiger Messer ausbreiten. Jetzt raspeln Sie schon minutenlang mit der Reibe. So eine Vierkantreibe gehört zu den meistverkauften Küchenutensilien überhaupt. Und das zu Recht. Mit der kann man fast alles machen. Dazu habe ich eigentlich immer mein Taschenmesser dabei.
Weil Sie stilecht im Wohnmobil kochen wollen? Weil man nicht mehr braucht. Auf kleinem Raum kochen muss nicht mit Verzicht einhergehen. Die meisten Urlauber – gerade Reisemobilisten – sagen sich: „Ich habe keine richtige Küche, ich koche nicht frisch.“ Das ist schade. Einen Mixer kann ich zum Beispiel fast immer irgendwo anschließen. Der braucht kaum Platz, und wenn der schnell genug dreht, reicht die Hitze darin sogar zum Garen.
Was spricht denn gegen die schnelle Ravioli-Dose im Vorzelt? Erst mal gar nicht viel. Es ist eher der Umstand, warum man zur Dose oder zur Packung greift, statt mit frischen Produkten zu arbeiten. Viele unterschätzen, was Ernährung mit uns macht. Positiv wie negativ, denn Zutaten geben oder nehmen Energie. Wenn ich mir anschaue, wie sich alles um einen herum weiterentwickelt, stelle ich immer wieder fest, dass die Ernährung da nicht Schritt hält.
Woran machen Sie das fest? Immerhin gibt es den Bio-Trend, immer mehr Veganer, den Hype um lokale Produkte. Klar, das alles gibt es. Aber in der Breite sieht es anders aus. In den Kantinen vieler großer Unternehmen erinnert die aktuelle Speisekarte oft an längst vergangene Industriekultur, während die Mitarbeiter die meiste Zeit des Tages vor dem Computer sitzen. Da herrscht doch eine Schieflage.
Sind wir denn so unmündig? Was die gesunde Ernährung angeht, würde ich sagen, ja. Es fehlt uns Menschen oft an Erfahrung. Wir bekommen schließlich nicht beigebracht, wie wichtig es ist, gut zu essen. Und wie das geht. Wir sind es aber grundsätzlich gewohnt, bei wichtigen Dingen angeleitet zu werden. Der Arzt gibt uns ein Rezept für die Genesung, die Schule einen Stundenplan für das Lernen. Und das Essen? Das soll gar nicht wie ein Vorwurf klingen, eher wie ein Weckruf.
Für schulische „Ernährungslehre“, für mehr mündige Esser? Es wäre ein guter Schritt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und von Natur aus ein Zucker- und Fettjäger. In uns ist genetisch verankert, Hunger möglichst schnell mit geringstem Aufwand zu stillen. Was man lernen kann, ist, dass es verschiedene Wege gibt, Süße und Sättigung zu erlangen, dass Kichererbsen und Aprikosen Würstchen und Ketchup oder eben die traditionelle Ravioli-Dose ersetzen können.
Was macht gute Ernährung also aus? Woran kann man sich orientieren? Ernährung ist eine höchst individu elle Angelegenheit. Was dem einen guttut, macht dem anderen Probleme. Der eine hält mit einem Apfel pro Tag den Doktor fern, der andere muss wegen Fruktose- Unverträglichkeit einen aufsuchen. Wichtig ist, Vitalstoffe ins Essen zu kriegen. Dabei gilt: Je natürlicher unsere Nahrung gewachsen ist, desto besser. Nehmen wir Fleisch: Günstiges Fleisch stammt leider oft von Tieren, die viel Stress und Angst erlebt haben. Das essen wir praktisch mit. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen deswegen auch immer aggressiver werden. Zum Beispiel im Straßenverkehr.
Somit sollte der geneigte Reisemobilist seinen Fleischkonsum tunlichst reduzieren? Das Reisen sollte man genießen. Da spielt die Ernährung eine große Rolle. Wenn ich mich unwohl fühle mit dem, was ich esse, dann hilft die schönste Seelage nichts. Und wenn ich schon anders, also im Reisemobil, unterwegs bin, warum nicht auch mit dem Essen experimentieren?
Wie mit der Vierkantreibe? Warum nicht? So wirkt der Salat in jedem Fall anders als klassisch in Scheiben geschnitten oder Röschen zerlegt. Und es geht deutlich schneller. Und man braucht weniger Platz, was in einem Wohnmobil nicht unwichtig ist, finde ich.
Jetzt ist es ja im Urlaub meist genau andersrum: Was man im Alltag vielleicht schon richtig macht, wird dann nicht so streng genommen. Das mag bei einem All-inclusive-Pauschalangebot kaum zu umgehen sein, aber gerade wenn ich selbstbestimmt mit dem Wohnmobil unterwegs bin, kann ich das doch gut steuern. Einfach statt Fertigprodukt das vor Ort frisch einkaufen, was die Region hergibt. Einen Plan und ein Ziel zu haben hilft dabei.
Stichwort Ziele: Warum sind Sie heute nicht mehr der DFB-Koch, sondern Holger Stromberg, der Ernährungsberater und Workshop-Veranstalter? Das hat ganz viel mit Sehnsucht zu tun. Es kam der Punkt, da wollte ich nur noch raus. Raus in die Natur, in die Welt. Ich habe praktisch ununterbrochen in geschlossenen Räumen gelebt und gearbeitet. Ich habe mich eines Tages gefragt, wann ich das letzte Mal Shorts getragen, meine Beine das letzte Mal die Sonne gesehen haben.
Also stimmt das Klischee vom Workaholic- Sterne-Koch? Mein ursprünglicher Plan war es, bis 30 so viel und exzessiv zu arbeiten, dass ich mich dann zur Ruhe setzen kann. Ersteres hat ganz gut geklappt, das mit dem vorzeitigen Ruhestand auf Ibiza nicht. Mich interessieren einfach zu viele Sachen, damit gingen immer wieder neue Projekte einher. Ich wollte zwischendurch auch mal Fotograf werden. Jetzt will ich nichts dringlicher, als in der Natur und, ganz ehrlich, mit dem Wohnmobil einfach unterwegs zu sein.
Dennoch sind Sie mittlerweile ein gefragter Berater in Sachen Ernährung. Wie passt das denn zusammen? Ich kann nicht einfach aufhören. Aber ich habe für mich entschieden, Stück für Stück kürzerzutreten. Da hilft das Consulting, denn hier kann ich mit Unternehmen und Partnern, die etwas in Sachen Ernährung verändern wollen, zusammenarbeiten. Ich muss nicht mehr alles allein machen und plane gezielt Auszeiten. Allerdings merke ich immer wieder, dass ich einfach gar nicht weiß, wie man mit Freizeit umgeht.
Also Erholung nicht trotz, sondern dank des Unterwegsseins? Ja, Hotelurlaube reizen mich nicht mehr. Ich kenne nur ganz wenige, in denen ich mich wirklich sofort erhole. Mein Traum ist es, mit Wohnmobil, Fahrrad und guten Freunden zum Beispiel bis nach Korsika zu fahren. So was muss natürlich ausführlich geplant sein.
Und wenn es gleich morgen losgehen könnte? Einfach losfahren, treiben lassen. Ich weiß ja ohnehin nicht, wie es anders geht. Sowieso, finde ich, passieren gute Dinge oft aus dem Zufall heraus.